Gekonnte Rhetorik
Reden ist Gold, Zutexten Blech
Sind Sie auch so ermüdet von all den Festtagsrednern, die in die Klischeekiste gegriffen und dampfplaudernd die Zeit des Zuhörers vernichtet haben? Dabei lässt sich das besser machen. Mit folgenden Tipps.
FAZ, 21.01.2015, von URSULA KALS
Bei einer guten Rede muss sich einer anstrengen, entweder der Zuhörer oder der Redner, bringt es der Sprachkritiker Wolf Schneider auf den Punkt. Wie schön, wenn es der Redner ist. Wer eine Leitungsfunktion anstrebt, muss rhetorisch versiert sein und souverän vor Gruppen sprechen können: Er muss vom Geburtstag der beliebten Sekretärin bis zur Präsentation vor dem aufmüpfigen Vorstand die treffenden Worte finden und den richtigen Ton treffen.
Eine ordentliche Struktur muss her
Ein gutes Thema muss her und eine ordentliche Struktur. Erbaulich, wenn Redner auch inhaltlich etwas zu sagen haben. Was will ich meinen Zuhörern eigentlich vermitteln? Das ist die Frage aller Fragen. Seltsamerweise scheinen manche Redner sich diese gar nicht erst zu stellen und plappern einfach drauflos. Dabei schätzen Zuhörer ein klares Thema und ein gutes Konzept. Also kurz skizzieren, was man in den kommenden Minuten vorhat. Es spricht nichts dagegen, sich an das nicht bestechend originelle, aber eindeutige Duo von kurzem Rückblick und verheißungsvollem Ausblick zu halten. Auf einen guten Aufbau setzen, denn nicht jedem Anfang liegt ein Zauber inne. Ein scharfer Kontrast, eine verstörende Beobachtung, eine prägnante These, all das sorgt für Aufmerksamkeit. Ein roter Faden sollte durch einen abwechslungsreichen Mittelteil weisen, der zwischen Fakten und szenischen Schilderungen wechseln kann und sich um gute Überleitungen bemüht. Und das Ganze dann nicht betulich ausplätschern lassen, sondern sich einen überzeugenden Schluss überlegen. Gute Entertainer heben sich ein Bonmot auf, Fernsehköche punkten nicht zufällig mit einem aufwendigen Dessert. Auch wenn die Zuhörer zwischendurch weggenickt sind: Ist der Schluss bemerkenswert, dann wird ihr Urteil über das eben Gehörte und zum Teil Verschlafene milder ausfallen.
Schachtelsätze und Passiv meiden
Was guter Rede- oder Schreibstil ist, darüber gibt es meterweise Ratgeberliteratur, endlose Diskussionen und wenig Konsens. Eins steht aber fest: Schachtelsätze mit vielen nachklappenden Nebensätzen sind schwer verständlich. Was einem Feingeist in einer Romanpassage zum Lesegenuss gereichen mag, führt bei Zuhörern oft zu Verdruss. Sätze müssen keineswegs nur wenige Worte enthalten. Aber sie sollten beim ersten Hören verständlich sein und nicht den gespreizten Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Stil pflegen. Wer zu verschwurbelten, syntaktischen Ausschweifungen neigt, der sollte sein Manuskript in einem stillen Winkel laut vorlesen. Er wird selbstkritisch merken, wo er Punkte setzen oder kürzen sollte. Und er wird erkennen, weshalb Formulierungen im Passiv, Konjunktiv oder eine penetrante Anhäufung von Füllwörtern wie „man“ den Redefluss hemmen. Ist kein Gegenleser in Sicht, hilft folgender Trick: Das Manuskript mit einem anderen Zeilenabstand in einer anderen Schriftart ausdrucken – ein anderes Layout schärft ebenfalls die Aufmerksamkeit. Fehler werden weniger rasch überlesen. Und guter Stil ist nun mal das Ergebnis des Rotstifts.
Zahlen, Fakten, wenig Zitate
Die Dinge deutlich benennen, nicht in Nullaussagen flüchten. Wer nicht klar skizzieren kann, was sein Unternehmen auszeichnet, der öffnet heiklen Fragen nach verschleierungswürdigen Bilanzen oder unternehmerischen Fehlentscheidungen Tür und Tor. Das war kein „grandioser Geschäftserfolg“, sondern „wir haben 1350 Kühlschränke mehr als im Vorjahr verkauft“. Zuhörer mögen Zahlen und Fakten, eine aktuelle Studie, eine aussagekräftige Umfrage, ein überraschendes Forschungsergebnis krönen einen Vortrag. Zu Zahlen Vergleichszahlen liefern, fünf Hektar mit Fußballfeldvergleichen anschaulich illustrieren. Flapsig gesagt: Das ist so etwas wie die Sendung mit der Maus für Erwachsene. Ganz nebenbei wird man ein wenig schlauer, nicht aber besserwisserisch belehrt. Zu Recht beflügelt es einen Redner, wenn Menschen im Publikum sich Notizen machen, und zwar diejenigen, die nicht irgendetwas mit Medien zu tun haben und dafür bezahlt werden. Ein aussagekräftiges Zitat ist gut, nicht aber eine Anhäufung oft gehörter Bonmots, womöglich frisch geplündert aus einschlägigen Sammlungen. Seltsam, das Redner nicht aussterben, die den Ehrgeiz daransetzen, ihr Bildungsgut vor anderen auszubreiten. Das ist ungefähr so spannend, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen. Sinnvoll ist es, die Zuhörer mit kurzen Fragen oder Übungen einzubinden und sie emotional zu beteiligen. Wer das Auditorium auffordert, Meinungen zu formulieren, der bleibt in guter Erinnerung.
Lebendige Beispiele statt Klischees
Statt in die Klischeekisten zu greifen und der Versuchung zu erliegen, sich „denglischer“ Dampfplaudereien zu bedienen, konkrete Erlebnisse schildern, sich Beispiele suchen, die anschaulich das belegen, was man sagen möchte. Frei nach dem Motto, die Statistik über 50 Tote ist traurig, der Tod des zweifachen Familienvaters aber eine Tragödie. Es gab einen Pfarrer im Rheinland, der Sonntag für Sonntag seine Predigt mit den Worten einläutete: „Ich hatte kürzlich ein Erlebnis.“ Die Einleitung war grauenvoll, die Geschichte, die dann folgte, meist anregend. Ohnehin sollte man das verhängnisvolle Wort „Ich“ zurückhaltend einsetzen. Das ist in Zeiten eitelster Selbstdarstellung, Selfiewahn und Ich-über-mich-Geschichten-Schwemme für manchen eine Herausforderung. Auch Chefs sollten dazu auf Abstand gehen, ihnen wird das als Eitelkeit ausgelegt. Das mit der Eitelkeit in Reden ist ohnehin so eine Sache. Abschreckende Beispiele bieten Einpeitschreden für Verkäufer („Weiter so, wir sind die Größten!“), aber auch Familienfeiern, auf denen niemand hören mag, weshalb der Jubilar schon als Knirps atemberaubende Legobauten errichtet hat. Das sind klassische Passagen zum Fremdschämen. Statt bei Gratulationsmarathons lieblos und verlogen Lob zu verteilen, ist es besser zu schildern: In welcher Situation habe ich den Jubilar bewundert? Was hat er einmal konkret getan, was mich beeindruckt hat? Und diese Begebenheiten erzählen. Das aber trauen sich viele nicht.
Achtung, Ironie
Natürlich ist es erfreulich, wenn die Rede heitere Passagen bietet – das beschwingt Redner und Publikum. Grundsätzlich ist die Sache mit dem Humor aber kompliziert. Wer sich zu antrainierter Fröhlichkeit zwingt, aber zum staubtrockenen Erbsenzähler geboren ist, der wirkt wie ein kurioses Abziehbild der Ratgeberliteratur, wenn er auf Krampf komm raus Witze in seinen Vortrag einbaut. Und wer worüber lacht oder eben nicht lacht, darüber entscheidet das Lebensgefühl, das Temperament, der Bildungsgrad. Was den einen zu Lachtränen animiert, findet der andere möglicherweise geschmacklos. So sehr Ironie begeistern kann, so sehr kann sie missverstanden werden. Ist die Zielgruppe heterogen, dann lieber Scherze verkneifen. Da kann der frisch installierte Marketingchef noch so klug über neue Geschäftsideen referieren, wenn ihm zwischendurch eine Sottise über „die verfickte Kampagne der Konkurrenz“ herausrutscht, dann bleibt das „verfickt“ hängen. Und manchmal leider nicht mehr.
Statt Folienrausch drei gute Bilder
Die Macht der Bilder nutzen. Hat der Vortragende nur Powerpoint oder hat er auch etwas zu sagen? Nichts gegen aufwendige Schaubilder, vorausgesetzt, sie sind nicht inhaltlich trivial und in Serie abgespult. Statt Präsentationen mit augenpulvrigen Diagrammen und Animationen vorbeigleiten zu lassen, lohnt es sich, sich auf die Suche nach einem ungewöhnlichen Foto, einer unerwarteten Illustration oder Videosequenz zu begeben. Zuhörer sind auch gern Zuschauer und schätzen es, etwas Überraschendes zu erblicken. Also den Mut haben, ein Stichwort an die Wand zu werfen und den Rest mündlich zu erledigen: Menschen wollen Menschen sehen und reden hören und nicht von einer Folienflut begraben werden, die ohnehin nur das wiedergibt, was der Redner sagt. Wem das liegt, der kann die Zuhörer mit einer kleinen Demonstration beglücken – und sei es nur, mit großer Geste ein Papier zu zerreißen oder eine Handzeichnung zu wagen. Ob das Kuchendiagramm oval ist oder eher rumeiert, das ist egal, wenn jemand vorn zum Stift greift und etwas skizziert, ist das unterhaltsam im besten Sinn.
Lampenfieber ist in Ordnung
Gute Redner sprechen möglichst frei. Stichworte auf festen Karteikarten sind dennoch nützlich. Es ist nichts dagegen einzuwenden, ein ausformuliertes Manuskript sicherheitshalber am Pult zu bunkern. Und zum Schluss die leidige Sache mit dem Lampenfieber. Das plagt viele, die eher selten öffentlich das Wort ergreifen und nicht auf die Formulierungskünste eines Ghostwriters oder die Ermutigung eines Coaches zurückgreifen können. 80 Prozent aller Menschen haben zunächst Bedenken und Herzklopfen oder schwitzen, wenn sie vor einer größeren Gruppe reden müssen. Was hilft sind in jedem Fall vorab gezielte Atemübungen, Entspannungsübungen und die Rede in kleinem, wohlwollenden Kreis zur Probe halten, Zeit messen, Rückmeldungen ernst nehmen, aber keinesfalls zu viel üben. Dann werden Vortragende sozusagen übercoacht und unaufmerksam. Und sich vor allem eines klarmachen: Angst schützt auch, weil sie die innere Aufmerksamkeit und Konzentration schärft. Sich mal zu verhaspeln gehört dazu. Nichts spricht dagegen, einen Fehler wegzulächeln. Wer sich selbst Pannen verzeiht, dem verzeiht auch das Publikum. Die meisten Menschen mögen keine Perfektion. Allzu eloquenten Rednern raten Profis, einen Versprecher in ihren Hochglanzvortrag einzubauen. Das wirkt einnehmend menschlich.